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Demenz neu sehen
16. Februar 2023

Besondere Plakataktion "Demenz neu sehen"

Dort, wo eigentlich Interesse für Sportschuhe, Klamotten oder Autos geweckt werden soll, entdecken Passanten in München aktuell etwas andere Bilder.

Diese Bilder machen auf ein besonderes Thema aufmerksam: Demenz. Dieses Thema aus der Tabuzone zu holen, zu zeigen, dass diese furchtbare Erkrankung auch schöne Momente haben kann, ist die Motivation der etwas anderen Ausstellung, die noch bis Ende Februar in München zu sehen ist. Es sind etwa zwei Männer abgebildet, die auf einer Wippe sitzen. Eine ältere Frau, die fröhlich lacht, während ihr Mann sie liebevoll beobachtet. Ein Mann, der einem auf eine Wand gemalten Papierflieger hinterherspringt oder ein Opa und seine Enkelin, die genussvoll in ein Brot beißen.
„Demenz ist nicht nur Drama. Es gibt schöne Momente, die gilt es zu fördern und auch bewusst zu schaffen“, sagt Désirée von Bohlen und Halbach, die Gründerin von Desideria Care. Der Verein setzt sich für eine demenzfreundliche Gesellschaft ein und hat den Desideria Care Preis für Fotografie „Demenz neu sehen“ initiiert. Die Resonanz auf die Fotos und die Plakatausstellung, die mit der Unterstützung des Vereins Retla umgesetzt werden konnte, ist sehr positiv.

Die Plakate fallen auf und regen dazu an, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Charles Napoleon, 23, findet es gut, dass dort, wo eigentlich Werbung gemacht wird, aktuell auf ein gesellschaftlich relevantes Thema aufmerksam gemacht wird. Der junge Mann macht gerade eine Ausbildung zum Pflegefachmann bei „Die Mitterfelder“, einer gemeinnützigen Einrichtung für Familien- und Altenpflege, und ist dem Thema Demenz im Rahmen seiner Arbeit begegnet. Hier ist ihm aufgefallen, dass es eben nicht nur tragische Momente gibt. So wie es auch die Fotos zeigen. „Wer will bezweifeln, dass es nicht auch sehr viele lustige und komische Momente des gemeinsamen Lebens mit Demenz – als Betroffene sowie auch für Angehörige oder Freunde gibt“, sagt er. Sein Blick bleibt an dem Foto mit den Männern auf der Kinderwippe – beide jung an Demenz erkrankt – hängen. „Das Bild lässt mich daran denken, dass sich zusammen zu bewegen, immer auch eine Art Kommunikation ist, die über die Sprache hinausgeht.“
Auch seine Kollegin Steffani Eggemann entdeckt spannende Momente in den Motiven. „Die Fotos zeigen Lebensfreude, Frohmut. Trotz schwarzweiß Fotografie und der dahintersteckenden Erkrankung: Demenz“, sagt sie. Seit 30 Jahren arbeitet sie in der Pflege, ist aktuell Pflegedienstleiterin der Ambulanten Pflege der Mitterfelder in Laim. In ihrem beruflichen Arbeitsfeld hat sie viele ältere Menschen kennengelernt, gerade auch demenziell veränderte Menschen, und unterschiedliche Phasen erlebt, schöne und lustige, traurige und herausfordernde Zeiten. „Es ist nicht immer leicht und ich benötige ein gutes Fingerspitzengefühl und wenn ich einen Zugang gefunden haben und ein Lächeln hervorrufen kann, dann bin ich glücklich darüber und das spiegelt sich häufig in meinem Gegenüber. Begegnungen mit demenziell veränderten Menschen auf „Augenhöhe“ – das ist für meine Arbeit sehr wichtig, genauso wie das „einfach mal abwarten“, den Menschen Zeit geben, ihm einfach mal zuhören, abwarten was passiert und daraufhin mein Verhalten und meine Hilfe anbieten, nichts erzwingen“, erzählt sie aus ihrem Alltag. Eine Herausforderung, die sich laut Eggemann lohnt. Denn so wahre sie auch die Würde dieser Menschen. Auch die Not der Angehörigen ist der Pflegefachkraft nicht fremd. Häufig stoßen diese an ihre Grenzen, gerade wenn sie einen Menschen mit Demenz zu Hause begleiten und pflegen. Sie haben oft niemanden, dem sie sich anvertrauen können, ziehen sich zurück in ihre Häuslichkeit, trauen sich nicht mehr auf die Straße, haben Angst vor den Reaktionen der Menschen. „Es ist so wichtig, dass die pflegenden Angehörigen auch gehört werden“, betont Eggemann. Öffentlichkeit und Präsens zum Thema Demenz ist für sie eine wichtige Angelegenheit. „Demenz sollte kein Tabu mehr sein. Jeder Mensch ist einzigartig in seinem Sein und hat eine Berechtigung, gesehen zu werden.“ Was ihr an den Bildern gefällt? Dass sie für sich sprechen und beim Betrachter auch einfach mal ein Lächeln hervorrufen können. „Wenn Menschen vor den Plakaten stehen bleiben und diese betrachten, werden Gedanken und Gefühle gelöst und wir haben schon etwas erreicht. Ein erster Schritt.“

Bild oben: Nikolaus Schön, Nelli Hennig, Charles Napoleon und Steffani Eggemann haben sich an den Plakaten in der Lagerhausstraße getroffen und sich über die Fotomotive ausgetauscht.