Ich habe ein gutes Gefühl für die Stimmen meiner Patienten.
Zaki Malik hat es geschafft. Er hat die Ausbildung zur Pflegefachkraft trotz starker Sehbeeinträchtigung erfolgreich absolviert.
Bei den „Mitterfeldern“ kommen immer wieder Menschen mit einer ganz besonderen Geschichte zusammen. Einer dieser Menschen kommt ursprünglich aus Pakistan, hat wahrlich keinen leichten Start im Leben gehabt, ist seinen Weg beharrlich gegangen und hat dabei oft auch ungewöhnliche Dinge getan. Das fängt schon bei seinem Namen an: Er heißt Zaki Malik, „Zaki“ kommt von einem arabischen Wort, das mit „Wachstum“, „Integrität“ und auch „Intelligenz“ zu tun hat. „Malik“ ist auch arabisch und heißt einfach „König“. Die Deutschen, erzählt er, haben seinen Vornamen nicht mit einem stimmhaften S ausgesprochen, sondern es ging immer in die Richtung „Zack!“ Das hat ihm nicht gefallen, deshalb bietet er üblicherweise seinen Nachnamen „Malik“ an. Warum wie hier über ihn berichten, wird noch nicht verraten. Die Lösung kommt am Ende der Geschichte….
Er wurde in einem sehr einfachen Ort im Norden Pakistans in eine einfache Familie geboren. Das Schicksal hat ihm dabei Einiges aufgeladen: Sein Sehvermögen ist seit seiner Geburt sehr stark eingeschränkt, die deutschen Behörden, zu denen wir später kommen, sprechen von 80 Prozent, vermutlich sind es mehr. Und dann ist Zaki ein sehr hellhäutiger Mensch, was einen in Pakistan auch sehr auffallen lässt.
Er ging dennoch zur Schule, aber mit seinem eingeschränkten Sehvermögen konnte er im normalen Schulbetrieb nicht mithalten. „Es hätte auch in Pakistan Privatschulen gegeben, aber die waren weit weg und meine Familie konnte sich das nicht leisten.“ Zaki erzählt, wie er zum Außenseiter wurde, zwei andere Außenseiter der großen Schulklasse waren seine Freunde.
Es muss für ihn und auch für seine Familie zum Verzweifeln gewesen sein. Nach der siebten Klasse endete seine Schulkarriere in Pakistan. Aber nicht seine Bildungskarriere. Allen Rückschlägen zum Trotz hatte er großen Wissensdurst und großes Interesse an der Welt da draußen. Er beschaffte sich eine Lupe, mit der er zwar langsam aber immerhin die Zeitungen seines geliebten Großvaters lesen konnte. Seine Schwestern zogen ihn mit und vermittelten ihm Stoff aus der Schule, der ihm auf normalem Wege so versagt blieb. „Ich habe die Zeit gut genutzt, in der ich nicht mehr in der Schule war,“ blickt er zurück.
Und doch blieb das Gefühl, der Familie zur Last zu fallen und in seiner Heimat einfach keine Chance zu haben. Er wollte weg. Mit 13. Wollte was aus seinem Leben machen. Mit hohem Risiko, er war ein Jahr lang unterwegs – und das mit seinen Einschränkungen.
Er kam nach Deutschland. Wie kam er auf Deutschland, wo doch schon alleine die Sprache so schwer ist, jedenfalls schwerer als zum Beispiel Englisch. Die Geschichte dazu ist nett: Wie sein Großvater, so war auch Zaki ein großer Fan des Hockeys, der in Pakistan Nationalsport ist. Und unter den Gegnern, die sich mit den Pakistanis messen konnten, waren in Europa vor allem die Deutschen bekannt. Zaki kannte sogar die Namen der Spieler. Und so wurde es Deutschland.
Genauer: Es wurde Bayern. Im Interview sagt er wörtlich: „Bayern hat mich so aufgenommen, wie ich bin und mich das werden lassen, was ich jetzt bin.“ Er konnte im Sehbehinderten- und Blindenzentrum Unterschleißheim (SBZ) zur Schule gehen und ist schließlich im BBS Nürnberg angekommen – dem „Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte“. Das Wort „angekommen“ trifft es gut: „Es war eine schöne Erfahrung, wie ich hier aufgenommen worden bin und Unterstützung bekommen habe,“ sagt er. Und hier konnte er seinem Leben auch beruflich endlich eine Richtung geben. Im BBS lernte er Bürokaufmann. Das läuft dort nicht dual wie üblich, sondern weitestgehend schulisch.
Der Rückschlag kam mit dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung: Er fand keinen Job, niemand nahm ihn. „Bis heute weiß ich nicht, ob es an meinem ausländischen Namen lag, an meiner Behinderung oder an meinem Deutsch, dass niemand sich getraut hat, mich anzustellen,“ blickt er zurück. Wer heute mit ihm spricht, kann sich jedenfalls nicht vorstellen, dass es an seinen Deutschkenntnissen gelegen haben könnte. Es folgte wieder eine harte Zeit des Durchaltenmüssens.
Er überlegte, was er noch machen könnte und erinnert sich daran, dass er gerne mit Menschen zu tun und dabei das Gefühl hat, dass ihm das liegt. Den Ausbildungsplatz als Pflegefachkraft beim AWO-Seniorenpark in Oberschleißheim hat er selbst recherchiert. Das Vertrauen, das er in seinem ersten Job „Bürokaufmann“ nicht fand, fand er hier. Sein Chef sagt: „Wenn du meinst, du schaffst das, dann probieren wir es.“ Und in der nun folgenden Ausbildung fand er auch einen Freund, dem Zaki sehr viel verdankt, und den er deshalb namentlich erwähnt: Es ist Gentrit Mushica, ein junger Mann mit albanischen Wurzeln. Diese Freundschaft ist Zaki sehr wichtig.
Und hier kommen schließlich die Mitterfelder ins Spiel, neben seinen Praxiseinsätzen im Seniorenpark drückte er in der Pflegeakademie drei Jahre lang die Schulbank. Auch die Schulleitung mag sich zunächst ein bisschen das Kinn gerieben haben, wie man es wohl hinkriegt, dass Zaki trotz Sehbehinderung mithalten kann. Das Entscheidende war wohl: Alle hatten Lust drauf, alle waren motiviert, alle wollten es wissen. Zaki hatte den Mut zu sagen, wenn er was brauchte – und in der Schule waren die Leute bereit, ihn dabei zu unterstützen.
Seit Sommer 2025 wissen wir es und es ist amtlich: Zaki Malik hat zur Freude aller Beteiligten die Ausbildung zur Pflegefachkraft erfolgreich abgeschlossen. Und seine Lehrkräfte sagten dazu: „Wow!“
Wie er das im Alltag hinkriegt? „Wenn man von Geburt an diese Behinderung hat, lernt man im Laufe seines Lebens viele Tricks, damit gut umzugehen,“ sagt er. Und rein fachlich hat er auch seine Nische gefunden: Er kümmert sich vor allem um ältere Menschen, die mit Demenz, Parkinson oder anderen neurologischen Krankheiten zu kämpfen haben. „Wenn ein Sinn ausfällt, werden die anderen Sinne umso schärfer, ich habe ein gutes Gefühl für die Stimmen meiner Patienten entwickelt und auch mein Tastsinn kann vieles von dem erspüren, was andere über ihre Sehkraft in Erfahrung bringen,“ sagt er. Es ergibt sich, so sagt er, eine andere Art von Gründlichkeit.
Er denkt gerne an die heute 95 Jahre alte Dame, seinerzeit seine erste Patientin in der Ausbildung. Die Frau leidet mittlerweile an Demenz, aber sie erkennt Zaki immer noch, wenn er kommt – und sie freut sich herzlich. „Das Schönste ist, wenn man am Ende einer Schicht das Gefühl hat, man konnte zum Wohlergehen der Menschen beitragen. Man hat etwas Richtiges und Gutes gemacht.“
Alles bestens also? Zaki wird nachdenklich. Ja, der Entschluss von zuhause weg und nach Deutschland zu gehen, war der einzig Richtige. Und doch… er vermisst seine Mutter. „Sie war lange vor allem auch in den schwierigen Tagen meiner Kindheit die einzige Person auf der ganzen Welt, die mich so angenommen hat, wie ich bin,“ sagt er. Eine Zeitlang war sogar der Kontakt nach zuhause abgerissen, aber jetzt steht er wieder. Und Zaki war zwischendurch auch mal ein paar Wochen daheim. Seine Mutter ist mächtig stolz auf ihn. „Ich werde es wohl immer ein bisschen schwerer haben als die meisten anderen,“ sagt er. Aber es schwingt genug Selbstbewusstsein in seiner Stimme und er hat auch Vertrauen, dass es immer wieder Menschen gibt, die ihm helfen. Wie seine Mutter, sein Kumpel aus dem Kosovo, seine Lehrer und andere.
An dem Tag, an dem er für diese Story zur Verfügung stand, hatte er gerade zwei weitere große Erfahrungen hinter sich: Nach Ende der Ausbildung hat er nun einen unbefristeten Arbeitsvertrag unterschrieben. Und kurz zuvor hatte er Urlaub, in dem ihn nach 14 Jahren der Trennung seine Schwester besucht hat, die mittlerweile in Kanada lebt. „Es war leider nur ein kurzer Besuch. Aber es war sehr schön,“ sagt er.