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Lernort-kooperation

Praxisschock, Demotivation und Ausbildungsabbruch?

Steigende Anforderungen in der schulischen und praktischen Pflegeausbildung erfordern generell eine höhere Betreuungsdichte für Auszubildende am praktischen Ausbildungsplatz mit dem Ziel, die gesetzliche Vorgabe einer
„schrittweisen Heranführung der Auszubildenden an die beruflichen Aufgaben der Pflege“ (vgl. § 4 Abs. 1 PflAPrV) effektiv und effizient verwirklichen zu können.

Hierzu wird man auch über gänzlich neue Wege nachdenken und sie auch einschlagen müssen.

 

Ein Projekt zeigt, wie dies vermeidbar ist.

Zwei Lehrkräfte der Berufsfachschule für Altenpflege der Stiftung Kath. Familien- und Altenpflegewerk in München, Frau Verena Machl und Frau Doris Memmel, haben im Rahmen der derzeit geltenden Altenpflegeausbildung mit Beginn des ersten Ausbildungsjahres (2018/19) ein Projekt gestartet, dessen Kernstück eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis ist.

Die Initiatoren des Vorhabens haben erkannt, dass ein Schlüssel für die Intensivierung des Theorie-Praxis-Transfers in der Verlagerung von Teilen des praktischen Unterrichts an den praktischen Ausbildungsplatz liegen würde.

Dort könnten die Lernenden mit komplexen realitätsnahen Problemen konfrontiert werden, um den Erwerb anwendbaren Wissens zu fördern.

Die in der regulären Altenpflegeausbildung, anders übrigens als in der derzeitigen Krankenpflegeausbildung, in einer Art Trockenkurs, z.B. mittels simulierender MitschülerInnen und passiv bleibender Pflegepuppen, dem Auszubildenden zu vermittelnden praktischen Unterrichtsinhalte würden, so die naheliegende Annahme, in „Echtzeit“ am Pflegebedürftigen und unter den tatsächlichen Arbeitsbedingungen am Lernort „Praxis“ für die Entwicklung seines fachlichen Könnens und seines Selbstvertrauens weitaus effektiver unterrichtet und gelehrt werden können.

Als Kooperationspartner für das Vorhaben wurde das Alfons-Hoffmann-Haus, ein Pflegeheim der Münchenstift GmbH, gewonnen.

Durch die vor Ort durchzuführenden praktischen Anleitungen des Projektteams, beispielsweise im Rahmen von begleiteten Pflegevisiten und Fallbesprechungen, können die Schüler und Schülerinnen das schulisch Erlernte
direkt in der Praxis beobachten und mit einer hohen Fachlichkeit umsetzen und reflektieren.

Zudem werden im Alfons-Hoffmann-Haus von den Initiatoren regelmäßig Projekttage organisiert, an denen mit Hilfe eines fachdidaktischen Modells zunächst der aktuelle Wissenstand der Auszubildenden überprüft und aktualisiert
wird. Im Anschluss wird das Fachwissen kritisch auf reale Situationen und
ausgewählte BewohnerInnen mit ihren Problemen und Ressourcen angewendet. 

Hierbei wird die Gesamtsituation einzelner Bewohner bewertet, und es werden die verschiedenen Erkenntnisinteressen betrachtet, anhand derer gemeinsam mit den Schülern Lösungen erarbeitet und Maßnahmen mit/an den Bewohnern/innen durchgeführt werden.

Tatsächlich bestätigte das auf drei Jahre angelegte Vorhaben bereits nach wenigen Monaten einen Großteil der daran geknüpften Erwartungen:

  • Der Unterricht am praktischen Lernort u.a. mittels handlungsorientierter Lernmethoden, klinischer Visiten und Fallbesprechungen erweist sich als eine Erfahrungsschule für Auszubildende, die sowohl die Ausbildung ihrer pflegerischen Handlungskompetenz wie auch die Entwicklung von beruflichem Selbstvertrauen und Selbstbewusstseins befördert und stärkt.
  • Ohne einen schulisch begleiteten Erwerb von Anwendungserfahrungen am Lernort „Praxis“ vermag der Auszubildende den dortigen Anpassungserwartungen wenig bis nichts entgegenzuhalten und wird ihnen vielmehr wider (schulisch) besseres Wissen demotiviert nachgeben müssen.
  • Als wichtig für die Förderung und Stärkung von Verantwortungsbewusstseins und pflegerischer Handlungskompetenz des Auszubildenden im Rahmen des Vorhabens erweist sich die Einbindung von PraxisanleiterInnen und Leitungskräften am Lernort, (z.B. Pflegedienstleitung, Wohnbereichsleitungen, Qualitätsbeauftragte, Stationspersonal). Im Projekt wurden daher monatliche (einrichtungsinterne) Treffen zwischen den Kooperationspartnern vereinbart und wiederholt Präsentationen des Vorhabens für das Einrichtungspersonal durchgeführt.

Dem skizzierten Projekt der Berufsfachschule wurden im Vorgriff auf die generalistische Ausbildung weitere Aufgaben gestellt.

  • Auszubildende sollen am praktischen Ausbildungsplatz in ihrer Rolle als Auszubildende vom Stationspersonal besser wahrgenommen werden, als dies bisher oft der Fall ist, und Freiräume erhalten, z.B. für Projekttage und zum Nachlernen mittels einer pflegefachlichen Lektüre.
  • Auch die beteiligten PraxisanleiterInnen und Lehrkräfte sollen voneinander sowohl fachlich als auch in didaktisch-methodischer Hinsicht profitieren und sich damit indirekt fortbilden.
  • Für die Verbesserung des Theorie-Praxis-Transfers soll ein spezifischer Lernziel- und Tätigkeitskatalog für die Langzeitpflege entwickelt werden; dieser soll fachliche Anforderungen definieren, die Ausbildungsträger in den zukünftig mit ihrer Schule zu vereinbarenden Kooperationsverträgen aufnehmen können.
  • Die Auseinandersetzung mit lernzielorientierten Themen und die Betrachtung komplexer Situationen unter Berücksichtigung verschiedener Zielebenen sollen den Auszubildenden demonstrieren, wie anspruchsvoll und attraktiv das Arbeitsfeld der Langzeitpflege ist. 

Das Projekt hat allerdings verdeutlicht, dass einer wirksamen Verbesserung der gegenwärtigen und auch zukünftigen Pflegeausbildung (Pflegeberufereform!) am neuralgischen Punkt der Schnittstelle von schulischer und praktischer Ausbildung hohe Hürden gesetzt sind. Dass diese von den Initiatoren nur durch ein gesondert zu finanzierendes Projekt überwunden werden konnten, haben bereits die Voraussetzungen für die Einpassung des hier beschriebenen Vorhabens in die derzeitige Altenpflegeausbildung gezeigt, die schwerlich von jeder Pflegeschule erfüllt werden können:

So sind Auszubildende in der Regel über viele ausbildende Pflegeeinrichtungen verstreut; klinischer Unterricht ist wirtschaftlich aber nur dann darstellbar, wenn eine Schule in den betreffenden Einrichtungen jeweils über eine (im Einzelnen zu bestimmende kritische) Mindestanzahl von SchülerInnen verfügt.

Um den im Rahmen des Projekts gewonnenen Erkenntnissen zur Verbesserung der Ausbildungsqualität gleichwohl im Regelbetrieb der Ausbildung Geltung verschaffen zu können, sollen in einem Folgeprojekt aus den Projektergebnissen für die gesetzlich vorgeschriebene Praxisbegleitung relevante Strukturanforderungen entwickelt werden.

Das Projekt der Berufsfachschule der Stiftung Kath. Familien- und Altenpflegewerk zeigt, dass ein effektiver Theorie-Praxis-Transfer möglich ist und Engagement und Motivation von Auszubildenden an dieser Schnittstelle gewahrt
und sogar noch gesteigert werden können.

Und es zeigt, welche Anforderungen an die schulische Organisation und Steuerung am praktischen Ausbildungsplatz gestellt werden müssen, um diese Ziele auch erreichen zu können.

 

Verena Machl

Doris Memmel

Ralf Twenhöfel